Man muss doch auch mal dankbar sein, liebe Leserinnen und Leser …

… man muss – gerade in heutigen Zeiten, wo es zum ‚guten Ton‘ gehört, an nichts mehr einen guten Ton zu lassen – gerade in heutigen Zeiten muss man doch auch mal dankbar sein! Deswegen möchte ich dir, liebes Internationales Olympisches Komitee, dafür danken, dass du mal wieder die Spiele an ein Land vergeben hast, welches es – sportlich korrekt – vielleicht verdient hätte, im Fokus der Weltöffentlichkeit zu stehen. Sportlich korrekt, denn politische Korrektheit hat im Sport ja nicht das Geringste verloren. Sport und Politik – das muss hübsch von einander getrennt bleiben. Und das, liebes IOC, hast du ja immer bewiesen, dass du treu zu dieser Trennung stehst. Dass die deutschen Sportler 1920 und 1924 nicht zur Olympiade eingeladen wurden, hatte bestimmt nichts mit dem I. Weltkrieg zu tun. Und dass die Spiele 1936 nach Berlin gingen, zeigt, dass du auch im größten Faschisten der Menschheitsgeschichte nur das Sportlerherz schlagen hörtest. Der sportlich-traditionsbewusste Herr Hitler hat ja dann auch prompt die älteste olympische Disziplin wieder eingeführt: den Fackellauf! Konntest du denn ahnen, dass der Fackel-Freund drei Jahre später ganz Europa in Flammen aufgehen ließ? Und als 2008 beim Fackellauf zahlreiche Tibeter durch Selbstentzündung in Flammen aufgingen, um auf die brutale Unterdrückung Tibets durch China aufmerksam zu machen … das war doch nicht deine Schuld. Du hattest doch nur die Olympischen Spiele an ein Land vergeben, welches es – sportlich korrekt – verdient hatte, im Fokus … siehe oben. Wo fanden die Spiele 2008 doch gleich statt? Ach ja … Peking! Peking? Moment mal … 2008 Peking, heute Beijing. Damals Tibeter, heute Uiguren … es kann doch wohl nicht sein, liebes IOC, dass du innerhalb weniger Jahre zwei Mal die Spiele an ein Land vergibst, welches immer wieder Menschenrechte mit Füßen tritt?
Ach ja, ich vergaß … Trennung von Sport und Politik! Und überhaupt … ich wollte dir ja dankbar sein! Dankbar dafür, dass sich mein täglicher Fernseh-Nachrichten-Konsum um ca. zehn Minuten verkürzt. Denn ich boykottiere dich und schalte ab, sobald von dir berichtet wird. Sport-Journalisten mögen die Trennung von Politik und Sport hinbekommen. Ich trenne nicht! Was das menschliche Gewissen zusammengefügt hat, das soll das IOC nicht scheiden! Ich schalte ab … auch wenn ich dadurch den Wetterbericht verpasse. Und dir, liebe FIFA, danke ich schon jetzt im Voraus für die fernsehfreie Zeit im kommenden Advent. Denn da Katar ja nun einspringt, wenn das mit Gazprom nicht mehr funktioniert, weiß ich schon jetzt, wie sauber die FIFA zwischen Politik und Sport trennen wird. Und ich werde wieder abschalten!
Auch Ihnen, liebe Leserinnen und Leser, viel Erfolg beim Boykott wünscht
Ihr Uwe Depping

(Glosse 3/21)